FRÖHLICHE WEIHNACHTEN | Ich nehme den heutigen Tag zum Anlass euch ein kleines Geschenk zu überreichen. Die nachfolgende Geschichte ist für Euch!
Zum Ablenken. Zum Lachen. Zum Verlieben.
Ich hoffe, sie gefällt euch und tröstet ein klein wenig darüber hinweg, dass dieses Jahr alles ein bisschen anders ist. „Ein Grinch zum Verlieben“ ist eine Kurzgeschichte in sieben Teilen. Vom 24.12. bis 30.12.2020 erscheint jeden Tag ein neuer Teil.
Gern könnt ihr mir schreiben, wie euch die Geschichte gefällt. Aber erstmal: VIEL SPASS BEIM LESEN!
An manchen Tagen ist es wirklich schwer, glücklich zu sein. Allein die Frage: „Wie geht es dir?“, könnte ich dem Fragesteller direkt zurück ins Gesicht klatschen, weil ich keine Muse habe darauf zu antworten. Die Antwort sieht einfach immer gleich aus:
„Nicht gut!“
„Schlecht!“
„Beschissen!“
Aber wer will das schon hören? Die meisten antworten mit:
„Okay.“
„Ganz gut.“ oder „Passt schon.“
Lügen! Alles Lügen! Wenn wir Menschen nur einmal ehrlich wären, würden viel mehr Leute so wie ich reagieren.
Ein genervtes Seufzen kommt mir über die Lippen, als ich widerstrebend den Kopf schüttele. „Warum fragst du mich das immer? Du weißt, wie ich in dieser Zeit drauf bin“, murre ich. Wie ich immer drauf bin, ergänze ich in Gedanken und schiebe mich an Colin vorbei.
Grinsend tritt er ein Stück beiseite, um mir Platz zu schaffen. „Es ist Weihnachten, Ava. Weihnachten! Die Einzige, die in dieser Zeit mies drauf ist, bist du.“
„Das stimmt doch gar nicht“, wehre ich seinen Vorwurf ab und greife nach dem Einkaufskorb, der endlich frei geworden ist. Die Warterei vor den Geschäften in der Kälte wegen der Corona-Pandemie lässt meine Laune zusätzlich sinken. „Wozu ist Weihnachten überhaupt gut? Damit wir tonnenweise Geld zum Fenster rausschmeißen, um uns noch mehr Dinge in die Wohnung zu stellen, die wir gar nicht brauchen? Super! Das kann ich auch ohne, dass es überall nach gebrannten Mandeln riecht oder diese nervige „Last Christmas“–Tüdelei in Dauerschleife läuft.“ Meine Stimme klingt dumpf unter der Stoffmaske, wodurch ihr die nötige Schärfe fehlt.
Colins tiefes Lachen dringt in mein Ohr und beschert mir eine Gänsehaut. Er legt mir den Arm um die Schultern und zieht mich an sich. Inklusive Einkaufskorb, was ihn aber nicht stört, genauso wenig, wie die verärgerten Blicke der Passanten wegen unseres Verhaltens. Sofort meldet sich mein schlechtes Gewissen. Aber die Wärme seiner Arme und sein unverwechselbarer Duft nach frischer Wäsche und dem herben Aftershave, das er benutzt seid ich ihn kenne, lassen es direkt verstummen. Ich kann nicht anders als tief einzuatmen und für den Moment eines Wimpernschlages das Gefühl von Sicherheit zu genießen, dass er für mich verkörpert.
„Mein kleiner Grinch“, neckt er mich und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel.
Hitze schießt mir ins Gesicht und ich presse die Lippen aufeinander, um nicht wohlig aufzuseufzen. Ich habe keinen Bedarf an einer weiteren Chaosbeziehung, vor allem nicht mit meinem besten Freund. Aber mein Körper ist ein mieser Verräter.
Colin merkt davon nichts und plappert munter weiter. „Ich werde dir schon beweisen, dass es an Weihnachten nicht um die Konsummenge geht. Es geht um Liebe, Familie und die Zeit, die man zusammen verbringt. Gemütliche Abende, in denen man zusammensitzt, singt, lacht und Geschichten erzählt.“
Ich verdrehe die Augen. „Und ich dachte, es ginge um Gott“, murmele ich leise. So leise, dass Colin es nicht hört. Seine geballte Sentimentalität kann ich nur schwer ertragen. Aber etwas Anderes habe ich von Colin auch nicht erwartet. Er ist der geborene Familienmensch. Ein wahres Wunder, dass er weder Frau noch Kinder besitzt. In letzter Zeit frage ich mich immer öfter, wieso das so ist. Eine leise Stimme in meinem Herzen behauptet, dass ich ein Grund bin, aber der Stimme klebe ich hartnäckig den Mund zu. Keine Beziehung mit besten Freunden. Basta!
Aber Grinch … Das trifft es perfekt.
Allein.
Kinderlos.
Familienmuffel.
Schlecht auf Weihnachten zu sprechen.
Ich habe keine Ahnung, wann ich meine Familie das letzte Mal gesehen habe und es ist mir auch egal. Ich brauche niemanden. Mein Leben kommt gut ohne sie klar. Ist es immer und wird es immer. Mit meiner Mutter habe ich mich bereits verkracht, als ich 16 Jahre alt war und sie nach Ehemann Nr. 6 immer noch nicht einsehen wollte, dass ich mir von diesen Männern nichts sagen lasse. Mit meinem Vater (Ehemann Nr. 2) hielt der Kontakt genau solange, bis ich 18 Jahre alt wurde. Danach fand er, ich sei nun erwachsen und bräuchte keinen „Daddy“ mehr. Manche Menschen sollten einfach keine Kinder bekommen. Meine Eltern gehörten definitiv dazu und ich auch. Nach all den Enttäuschungen in meinem Leben wollte ich so etwas niemandem antun. Erst recht nicht einem Kind, dass nur, weil es in die falsche Familie geboren wurde, ein beschissenes Leben abbekommen würde. Ich schüttele mich innerlich, um die Gedanken daran zu vertreiben und löse mich von Colin.
„Du brauchst mir gar nichts beweisen“, sage ich lauter, damit er mich diesmal versteht. „Ich weiß, dass du Weihnachten liebst. Würde ich an deiner Stelle auch, wenn ich so eine Familie hätte. Aber die habe ich nicht. Bei uns bestand Weihnachten ab meinem 6. Lebensjahr daraus, den neuen Mann meiner Mutter kennenzulernen und die Ferien allein zu Hause zu verbringen, weil die beiden im Liebesurlaub waren. Meine Kindermädchen haben je nach Laune mehr oder weniger Weihnachten mit mir gefeiert. Alles was ich will, ist einen ruhigen Abend zu Hause. Mit meiner Hot-Dog-Pizza und Gilmore Girls. Mehr brauche ich nicht.“
Colin verzieht mitfühlend das Gesicht. Er kennt meine Geschichte, trotzdem scheint es ihn jedes Mal zu treffen, wenn ich ihm erzähle, wie verkorkst meine Kindheit war.
„Das mag ja sein. Aber so sollte Weihnachten nicht ablaufen. Niemand sollte an den Feiertagen allein zu Hause sein.“
Ich zucke gleichgültig mit den Schultern, während ich den Inhalt der Regale studiere und meinen Zettel abarbeite. Den Single-Weihnachts-Einkaufszettel. Neben der Hot-Dog-Pizza wandern noch Paprikachips und Popcorn in den Korb. Ich handhabe Weihnachten, wie Lorelai und Rory: Mit viel Essen und Fernsehen. „Mich stört es nicht allein zu sein. Allemal besser, als mit meiner Familie zusammenhocken zu müssen.“
Ich höre ein abfälliges Schnauben hinter mir. „Das meine ich auch nicht. Mit deiner Familie würde selbst ich nicht feiern wollen.“
„Na danke auch.“ Ich strecke Colin die Zunge über die Schulter heraus, was er mit einem schelmischen Grinsen beantwortet. Auch wenn wir das beide durch die Masken nicht sehen können, kennen wir die Gesten des anderen in- und auswendig.
Es trifft mich nicht, dass Colin so etwas sagt. Ich sehe es genauso. Niemand würde mit meiner Mutter feiern wollen, für die das Wort Liebe ein Fremdwort ist. Natürlich überkommt mich an Weihnachten auch mal die Schwermut, in der ich mir vorstelle, wie es wäre mit seinen Lieben lachend am Tisch zu sitzen und all die Leckereien in sich hineinzuschieben. Oder sich gegenseitig liebevoll verpackte Geschenke zu überreichen, wie man es in der Werbung sieht. Aber all das hatte ich nie, also weiß ich im Prinzip auch nicht, ob es wirklich so ist, wie alle erzählen. Oder ob es sich nicht doch nur um eine weitere Marketingmasche handelt, die die Leute zu noch mehr Konsum animiert.
„Nein. Ehrlich, Ava. Ich habe mit meinen Eltern gesprochen und wir sind uns einig. Du solltest dieses Jahr zu uns kommen.“
„Was?“ Abrupt bleibe ich stehen und drehe mich zu meinem besten Freund um. Hatte er das eben wirklich vorgeschlagen? Ich habe keine Ahnung, was er in meinem Gesicht sieht, aber es scheint ihn zu amüsieren, denn Colin fängt an zu lachen.
Verwirrt ziehe ich die Brauen zusammen. „Was ist so lustig?“, hake ich nach, weil ich den Witz nicht erkennen kann. Sollte die Einladung nur ein Scherz sein? Auch wenn die Vorstellung, mit Colins Familie zu feiern, mich ein wenig ängstigt, stößt mir die Vorstellung, dass er es nur im Spaß gesagt hat, übel auf.
„Ava, du sahst gerade aus, wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Ich will dich nicht zur Schlachtbank führen, sondern nur zu unserer Weihnachtsfeier einladen.“ Er lächelt immer noch, doch als er merkt, dass mir alles andere als zum Lächeln zumute ist, sieht er mich ernst an. „Bitte überlege es dir. Meine Eltern wollen auch nicht, dass du allein bist. Sie würden sich wirklich freuen dich kennenzulernen.“
Die Sorge und Zuneigung in seinen Augen lässt mich schwer schlucken. Ich nicke langsam. „Okay, ich überlege es mir.“ Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits spüre ich eine ungekannte Leichtigkeit in mir. Als würde mein Gilmore-Girl-Ich aufseufzen und sagen: Allein auf der Couch ist toll, aber zu viert auf der Couch ist großartig. Andererseits schwingt die Sorge mit, dass die Traumblase Weihnachten, die sich in mir über die Jahre unbewusst aufgebläht hat, zu platzen droht. Noch nie, auch nicht mit meinem Ex, habe ich Weihnachten mit anderen Menschen verbracht. Dieses Fest ist für mich ein rotes Tuch. Jedes Jahr, wenn diese Zeit beginnt, werde ich an meine Kindheit erinnert. In dieser Zeit fühle ich mich so einsam, dass mir die Brust eng wird und eine Wut in mir hochkocht, die ich nicht in Worte fassen kann. Ich will dann einfach niemanden um mich haben, der das nicht versteht. Es ist wie ein Fluch. Ein Teufelskreislauf, den ich nicht durchbrechen kann, seit ich Weihnachten kenne.
„Sehr schön.“ Das Grinsen auf Colins Lippen ist zurück. Ich erkenne es an den Fältchen um seine dunkelbraunen Augen. „Dann brauchst du das hier ja nicht mehr.“ Er zieht mir den Korb aus den Händen und schiebt mich in Richtung Ausgang.
„Hey!“, protestiere ich. „Ich habe gesagt: Ich überlege es mir.“ Ich schnappe nach dem Korb. Vergebens.
„Ein ‚Okay‘ heißt: Ja!“, kommentiert Colin nur und schiebt mich unermüdlich vor sich her.
„Ich habe gesagt: Okay, ich überlege es mir. Und nicht: Okay“, kontere ich, doch mein Protest hat deutlich an Schwung verloren. Das Gefühl seiner Hände auf meinen Schultern lässt jede Gegenwehr schwinden. Wann bin ich ihm gegenüber so schwach geworden? Wann haben sich meine Gefühle über meine Mauern hinweggesetzt? Oder ist es doch nur die Vorstellung, einmal in meinem Leben Weihnachten nicht allein zu Hause verbringen zu müssen, die mich schwach werden lässt?
Ich bin nicht sentimental. Ich komme gut alleine klar. Wann ist mir das so wichtig geworden?
Ich schnaufe frustriert, lasse aber zu, dass er mich aus dem Laden bugsiert.
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8 Gedanken zu “Ein Grinch zum Verlieben | 1. Akt”