Vollgefuttert liege ich auf der Couch, den Kopf auf Colins Schoß gebettet. Auch wenn ich diese Position schon öfter innehatte, fühlt es sich heute anders an. Intimer. Aber mein voller Magen verbietet es mir, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen, sonst platzt er, dessen bin ich mir zu einhundert Prozent sicher. Ich musste selbst den Knopf meines Cordrocks öffnen. Zum Glück fällt das unter der schwarzen Bluse, die ich darüber trage, nicht weiter auf.
Colin malt wieder kleine Kreise über meine Stirn. Ein wohliger Schauer rinnt mir den Rücken hinunter und ich muss ein zufriedenes Seufzen unterdrücken. Trotz aller Ängste war dieser Tag bisher wirklich wundervoll. Lillys Waffeln waren ein Traum aus Zimt und Zucker. Herrlich süß, heiß und knusprig. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Anschließend gingen wir gemeinsam spazieren. Lilly hat sich bei mir eingehakt, während Colin, mit seinem Vater Steve, ein Stück hinter uns lief.
Wenn ich so darüber nachdenke, kann ich mich kaum noch daran erinnern, über was wir alles gesprochen haben. Aber es war ein ungezwungenes Gespräch. Mit ihrer fröhlichen und entspannten Art erinnert mich Lilly so sehr an Colin, dass mich nicht einmal das Gefühl überkam, nicht zu wissen, was ich ihr erzählen sollte.
Jetzt sitzen wir gemeinsam im Wohnzimmer, nachdem Lilly für uns alle heiße Schokolade gekocht hatte.
„Zum Aufwärmen nach der Kälte draußen“, meinte sie.
Ich reibe mir über den Bauch, der dank Waffeln und heißer Schokolade zufrieden gluckert.
Das Wohnzimmer von Colins Eltern ist ein wahrer Weihnachtstraum. Dekoriert, wie ich es nur aus dem Fernsehen kenne. Auch wenn ich Weihnachten nicht mag, musste ich Lilly einfach Kompliment aussprechen. Der Weihnachtsbaum funkelt und bot neben den rot glänzenden Kugeln auch selbstgebastelte Sterne und Nasch-Anhänger. Naschen? Direkt vom Baum? Wie genial ist das bitteschön?
Colin konnte sich ein Lachen nicht unterdrücken, als ich mir direkt einen der Schokokringel stibitzt habe. Ich streckte ihm lediglich die Zunge raus, bevor ich mir den Kringel genüsslich in den Mund schob.
Die ausladende Couch bevölkern weinrote Samtkissen. Über dem Kamin hat Lilly selbstgestrickte Socken aufgehangen, auch eine für mich, wie ich gerührt feststellte. Und während das Drehen der Pyramide flackernde Schatten an die Wände wirft, genieße ich den zarten Duft der Räucherkerze, die leise Weihnachtsmusik im Hintergrund und Colins warme Finger auf meiner Stirn. Letzteres besonders.
Beinahe schade, dass diese Lüge morgen ein Ende haben wird, auch wenn es besser so ist. Colin hatte mich noch zwei weitere Male geküsst. Jedes Mal hinterließ er damit ein Kribbeln in meinem Bauch und eine Sehnsucht nach mehr, die mich etwas erschreckt. Langsam frage ich mich, ob ich nicht doch mehr für Colin empfinde, als mir lieb ist.
Auch wenn ich weiß, dass das alles nur Show ist, wundert es mich doch, wie ernst er die Sache nimmt. Ich ging ursprünglich davon aus, dass wir lediglich ein wenig Händchen halten und kuschelnd auf der Couch hocken würden, aber das er mich unentwegt küssen würde, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Unbewusst gleiten meine Finger über meine Lippen. Wenn ich die Augen schließe, kann ich immer noch Colins Mund auf meinem Spüren. Ein Seufzen entfährt mir und als ich die Augen wieder öffne, begegne ich Colins fragendem Blick.
„Alles gut?“, raunt er, sodass nur ich ihn hören kann.
„Na klar“, krächze ich kleinlaut, da ich mich irgendwie ertappt fühle.
Zum Abendessen übertrifft Lilly wieder all meine Erwartungen.
Ich muss blinzeln, als mir ungewollt die Augen anfangen zu brennen. Das Essen. Die Menschen. Die Atmosphäre. Es ist genau so, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Wie ich es mir immer gewünscht habe, ohne es mir je einzugestehen. Zwar sind diese Leute nicht meine Familie, aber mit ihrer herzlichen Art geben sie mir das Gefühl, bereits ein Teil von ihrer zu sein.
Ich spüre, wie Colin unter dem Tisch nach meiner Hand greift und sie sanft drückt, als wüsste er genau, was gerade in mir vorgeht. Aber er hat keine Ahnung. Er weiß nicht, was für ein riesengroßes Geschenk er mir mit diesem Tag gemacht hat. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich die Liebe. Ich höre nicht nur von ihr oder rede über sie. Nein, ich sehe und spüre sie mit jeder Faser meines Körpers. Colins Familie versprüht sie wie einen Funkenregen. Er funkelt überall. Ich kann gar nicht genug davon bekommen. Am liebsten würde ich für den Rest meiner Zeit hier sitzen und Steves witzigen Anekdoten über seinen Job als Immobilienmakler lauschen, Lillys köstlichen Kartoffelsalat essen und Colins Hand halten.
Gänsehaut überzieht meine Arme, als ich mich erhebe. „Ich bin gleich wieder da“, entschuldige ich mich kurz und husche aus dem Wohnzimmer. Auf dem Flur atme ich tief durch. Ich bin nicht geflohen, weil mir das alles zuviel war, sondern weil ich nicht will, dass Steve oder Lilly meine Tränen sehen. Schließlich sollen sie nicht denken, sie hätten irgendetwas etwas falsch gemacht. Ganz im Gegenteil.
Heiß rinnen sie über meine Wangen und ich wische sie schnell weg, auch wenn sie kein Zeichen der Trauer sind, ist mir mein Gefühlsausbruch unangenehm. So bin ich normalerweise nicht. Aber in den letzten Tagen sind so viele Dinge passiert, die nicht normal für mein Leben sind, dass ein paar Tränen gut dazu passen.
„Ava? Ist alles okay?“
Unwillkürlich zucke ich bei Colins warmer Stimme zusammen. Ich drehe mich zu ihm um. Kurz darauf werde ich in eine feste Umarmung gezogen. Sofort schlägt mein Herz ein paar Takte schneller.
„Warum weinst du?“, nuschelt er in mein Haar.
Ich zucke hilflos mit den Schultern, da meine Stimme mir den Dienst versagt.
„Habe ich irgendetwas falsch gemacht?“ Er klingt besorgt.
Ergeben schließe ich die Augen. Natürlich, für ihn sieht es sicher so aus, als wäre ich wegen ihm geflüchtet. Vielleicht denkt er, mir sind seine Berührungen und Küsse unangenehm.
„Nein“, zwinge ich mich schnell zu antworten. Meine Stimme ist nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
„Ist dir das alles zu viel? Willst du dich hinlegen? Oder“, er stockt kurz. „Oder soll ich dich nach Hause fahren?“
Allein das er mir dieses Angebot macht, bedeutet mir unendlich viel. Zeigt es mir doch, wie viel ihm an mir liegt und das er alles tun würde, nur damit ich mich wohl fühle.
Wieder verneine ich. Aber ich kann ihm nicht sagen, was los ist. Es ist so … überwältigend.
Er seufzt und es hört sich beinahe verzweifelt an.
„Wie oft muss ich dir eigentlich noch beweisen, wie gut wir zueinander passen?“, flüstert er in mein Ohr. Sein Atem streift die empfindliche Haut an meinem Hals. Gänsehaut überzieht meinen ganzen Körper. Mein Herz stolpert ein paar Schläge, bevor es in rasantem Tempo weiter schlägt.
Meinte er damit, dass was ich denke?
Doch bevor ich ihn fragen kann, spüre ich seine weichen Lippen über meine Wange streichen. Sie hinterlassen eine glühende Spur. Ein überraschtes Keuchen entfährt mir und mein Puls schießt erneut in die Höhe. Ich ahne Colins Lächeln mehr, als das ich es sehe.
„Und irgendetwas sagt mir, dass du genau derselben Meinung bist.“
Meine Augenbrauen wandern in die Höhe. „So?“, frage ich atemlos. Sein Mund ist nun nur noch wenige Millimeter von meinem entfernt. Alles in mir fleht danach, ihn zu küssen.
„Ja. Aber ich will es aus deinem Mund hören.“
„I-ich…“, stottere ich, weil ich in Gedanken schon einen Schritt weiter bin. Und gleichzeitig zehn Schritte hinterherhinke.
„Sei einmal ehrlich zu dir selbst, Ava.“
Er lehnt seine Stirn gegen meine und ich sauge seine Nähe ein, wie eine Ertrinkende die Luft. Allein seine Wärme ist so berauschend und entspannend gleichzeitig, dass allein bei der Vorstellung, dass sie wieder verschwindet, oder wir zur alten Distanz zurückfinden, sich in mir alles schmerzhaft zusammenzieht. Nein, ich will auf keinen Fall, dass wir einen Schritt zurückgehen. Aber wollte ich eine Beziehung? Bin ich bereit, die Freundschaft mit Colin für die Liebe aufs Spiel zu setzen?
„Ich liebe dich, Ava.“
Meine Atmung setzt endgültig aus. Wie erstarrt hänge ich in seinen Armen. Lausche seinen Worten, die sich tief in mein Herz brennen.
„Ich weiß, dass du Angst hast. Ich kenne dich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass die Liebe ein tiefes Loch in dein Herz gerissen hat. Aber ich bin bereit, dieses Loch zu füllen, auch auf die Gefahr hin, dass es mir vielleicht nie gelingt. Ich möchte ein Teil von deinem Leben sein, aber keiner der nur danebensteht. Ich möchte jederzeit deine Hand halten, wenn du Angst hast. Dich küssen und festhalten. Ich möchte dir die Liebe schenken, die du verdient hast. Ich …“
Ich lege ihm meinen Zeigefinger auf die Lippen. Augenblicklich verstummt er. Ich weiß, dass er noch mehr sagen möchte, doch mehr braucht es für mich nicht.
Vorsichtig lege ich die Hände an seine Wangen. Seine Augen werden groß vor Überraschung, doch als ich ihn sachte zu mir herunter ziehe, um ihn endlich zu küssen, verschwindet sie und macht etwas anderem Platz. Etwas, dass ich mir schon solange wünsche und noch viel länger vermisst habe.
Liebe.
ENDE
Liebe LeserInnen,
ich hoffe Euch hat die Geschichte von Ava & Colin gefallen. Wenn ja, dann freue ich mich sehr darüber, wenn Ihr sie mit anderen Lesefreudigen teilt. Gern könnt Ihr mir auch persönlich schreiben oder direkt hier kommentieren. Ich freue mich auf Eure Meinung. Diese Geschichte soll vor allem eines: Freude schenken.
In diesem Sinne – Frohe Weihnachten!

Hier geht es zum:
1. Akt | 2. Akt | 3. Akt | 4. Akt | 5. Akt | 6. Akt
Hinweis: Mit dem Hinterlassen eines Kommentars, erklärt ihr, die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen und gelesen zu haben. Ihr seid damit einverstanden, dass die E-Mail Adresse, der angegebene Name und die IP, so wie die freiwillige Angabe der URL gespeichert werden.
Ein Gedanke zu “Ein Grinch zum Verlieben | 7. Akt”