6 – Erik
»Was?« Meine Stimme klingt scharf.
»Mein Wunsch«, erklärt sie mir, ihre Finger unter die Oberschenkel geklemmt, als müsste sie sich selbst auf dem Hocker festhalten. »Ich möchte, dass du nicht mehr herkommst.«
Für einen Augenblick bin ich sprachlos. Ich soll nicht mehr herkommen? Was denkt sie sich dabei?
»Das ist ja wohl nicht deine Entscheidung, oder?«
Warum bin ich eigentlich so zornig? Ist es nicht genau das, was ich will?
Und trotzdem beben meine Hände und ich würde Isa am liebsten schütteln und fragen, wieso sie diesen Wunsch ausspricht. Ob sie noch ganz bei Trost ist und das sie keine Ahnung hat, was sie mir damit antut.
»Na ja…«, setzt sie an, doch ich fahre ihr dazwischen.
»Du kannst dir kaum etwas wünschen, was einen der Spiel-Teilnehmer ausschließt. Außerdem hat Tom da auch noch mitzureden.«
»Ja, schon, aber…«, beginnt sie erneut, bricht jedoch mitten im Satz ab. Wir sehen uns an. Ihre Augen schimmern glasig.
Das halte ich nicht länger aus.
Die Terrassentür knallt hinter mir zu, als ich das Haus fluchtartig verlasse. Wie ein Schwerverbrecher durchquere ich den Garten und springe über den niedrigen Zaun, ohne mir die Mühe zu machen, das Gartentor zu öffnen.
Der Großteil der angrenzenden Straße liegt im Dunkeln, nur einzelne Flecken werden von den wenigen Straßenlampen erhellt, die aller paar Meter den Gehweg bevölkern.
Ich vergrabe die Hände in den Taschen und ziehe die Schultern hoch. Heute hätte ich mir eine Jacke mitnehmen sollen. Der Pulli allein hält die Kälte nicht mehr ab, die der Herbst inzwischen mit sich bringt.
In meinem Kopf herrscht Chaos. Was für ein Tag. Nichts ist so gelaufen, wie ich es geplant hatte. Isa hat mir einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Aber am wütendsten bin ich auf mich selbst. Ihr Wunsch hat mich völlig überrumpelt.
Wieso will sie, dass ich nicht mehr vorbeikomme?
Vielleicht hätte ich sie lieber nachdem Grund fragen sollen, anstatt sie anzugehen. Ich habe sie gar nicht zu Wort kommen lassen und bin dann einfach abgehauen. Isas trauriges Gesicht taucht vor meinen Augen auf.
Wütend kicke ich gegen einen Pappkarton, der auf der Straße liegt, doch der Wind wirbelt ihn zurück und ich stolpere fluchend darüber.
Eindeutig nicht mein Tag.
***
»Alter, wo bleibst du?« Toms Stimme dringt mir genervt ins Ohr. Er hat schon viermal angerufen. Ich habe nicht abgenommen. Keine Ahnung warum. Vielleicht bin ich einfach ein Feigling.
»Wo soll ich denn bleiben. Ich bin zu Hause.«
Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht, wie ich mit Isas Wunsch umgehen soll. Zuerst wollte ich ihn ignorieren und wie gewohnt weitermachen. Aber dann kam mir der Gedanke, dass wir noch nie gegen die Regeln verstoßen haben. Egal, wie absurd die Wünsche der anderen auch waren. Tom, zum Beispiel, hatte sich einmal gewünscht, in Chips zu baden. Also haben Isa und ich die ganze Badewanne der Familie Rhall mit Toms Lieblingschips gefüllt. Das Bad hat Tage danach noch nach Paprika geduftet.
Bei Isas Wunsch geht es jedoch nicht nur um einen Moment. Es geht um alles.
»Wieso das?« In Toms Stimme schwingt Verständnislosigkeit mit.
»Hat Isa nicht mit dir geredet?«
»Isa? Was hat denn Isa damit zu tun?« Ich sehe förmlich, wie er die Augenbrauen fragend nach oben zieht.
»Sie hat nichts gesagt?«
»Nein! Außerdem ist sie gar nicht da. Also komm rüber!«
Ein Tuten erklingt, als Tom ohne ein weiteres Wort auflegt.
Isa hat nicht mit Tom gesprochen? Wie kann sie so einen Wunsch äußern und ihn gegenüber ihrem Bruder nicht erwähnen? Es müssen doch alle Teilnehmer informiert werden.
Heißt das jetzt, Isa hat es sich anders überlegt?
Oder hat sie es schlichtweg vergessen?
Ich starre auf mein Handy, das ich wegen dem Telefonat noch in der Hand halte. Ohne groß darüber nachzudenken tippe ich eine SMS.
Hey Isa
Warum hast du nicht mit Tom geredet?
Als nach 5 Minuten immer noch keine Antwort kommt, lege ich es frustriert beiseite. Wahrscheinlich hat sie die Nachricht nicht einmal gelesen. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und verschränke die Hände über dem Kopf.
Was soll ich jetzt machen?
Es poltert vor meiner Tür und ich höre Schritte. Resigniert schließe ich die Augen.
Mist!
Wann war ich eigentlich das letzte Mal zu Hause, wenn er heimkam? Ich weiß es schon nicht mehr. Die Besuche bei Tom und seiner Familie sind zum Alltag geworden. Zu einer Selbstverständlichkeit, die mich beinahe vergessen lassen hat, wieso ich jeden Tag dorthin gehe.
»ERIK? Bist du da?«
Ich presse die Lippen aufeinander, ehe ich mich aufraffen kann zu antworten. »Ja.«
Meine Zimmertür wird aufgerissen. Er trägt immer noch seine Richterrobe. Offenbar ist er direkt nach seiner heutigen Verhandlung nach Hause gefahren. Das schwarz melierte Haar lässt ihn seltsamerweise jünger wirken, obwohl er mit großen Schritten auf die Fünfzig zugeht.
»Gar nicht bei Tom?« Seine eisblauen Augen sehen mich überrascht an.
»Offensichtlich nicht.«
Die Steilfalte zwischen seinen Augenbrauen vertieft sich und seine Lippen werden schmal. Ich sehe ihm an, dass er etwas erwidern will, doch stattdessen fragt er nur: »Isst du mit uns zu Abend? Oder verschwindest du gleich wieder?«
Der Vorwurf, der in seiner Frage mitschwingt, lässt mich kalt. Zwischen uns ist alles gesagt. Sobald ich die Schule beendet habe, bin ich weg aus diesem Haus. Ich kann es kaum erwarten und ich bin mir sicher, ihm geht es genauso.
»Keinen Hunger.«
»Tu es wenigstens für deine Mutter.«
Wütend presse ich die Zähne aufeinander. »Charlotte ist nicht meine Mutter«, zische ich.
Sein Blick wird kalt. »Wann lässt du dieses Thema endlich ruhen?«
»Wenn du zugibst, dass du sie umgebracht hast.« Ich weiß, dass das dumm war, bevor ich den Satz beendet habe. Innerhalb weniger Schritte ist er bei mir und packt mich am Kragen. Der Stoff meines Shirts drückt mir unangenehmen in die Haut, als er mich daran auf die Beine zerrt. Unsere Blicke verhaken sich ineinander.
»Nur zu«, knurre ich. »Darin hast du ja schon Übung, nicht wahr?«
Etwas verpasst? Kein Problem, hier kommst du zu den vorherigen Kapiteln:
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Wow, eine Wendung mit der ich gar nicht gerechnet habe. Bin schon auf die Fortsetzung gespannt. :D
Liebe Grüße
Diana von lese-welle.de
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Hey Diana,
schön das du wieder vorbei gelesen hast. :-) Bis nächsten Sonntag. ;-)
Liebe Grüße
Ella <3
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Whaaat? So ein gemeiner Cliffhanger – oh man, Ella! :D
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Hahahahaha :-D Das Ende ist ziemlich fies, stimmt schon. Aber es soll ja auch nicht langweilig werden. ;-)
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Das wird es definitiv nicht. :-)
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:-) <3
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Oh. Ich bin gerade genauso verwirrt wie Erik. Was genau erwartet sie denn jetzt von ihm? O.o
Dass Tom mal in Chips baden wollte, finde ich übrigens sehr amüsant, diese Erinnerung war zweifellos mein Highlight in diesem Kapitel :P
Und dann dieses Ende … Mir wird plötzlich klar, dass ich dich noch viel zu wenig über Erik weiß …
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Ich muss ehrlich zugeben, ich würde auch gern mal in Chips baden, wenn es nicht solch eine Verschwendung wäre. Immerhin müsste man danach alles allein aufessen und ich glaube, das schaffe ich nicht. XD
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What!? Ach du grüne Neune … was ist das denn? Der Cliffhanger ist mal mega fies!
Aber das bringt ein bisschen Licht in den Charakter. Und ich bin sicher, da kommt noch so einiges auf uns zu!
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Hihi, ich fühle mich etwas fies. ^^ Aber gerade deshalb macht es Spaß. ;-)
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Das hab ich mir doch gedacht! :P
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