10 – Erik & Isa | Blogroman

10 – Erik

Tom lacht immer noch, allerdings klingt es jetzt alles andere als fröhlich, sondern frustriert und irgendwie erschöpft, bis er schließlich gänzlich verstummt, die Knie anzieht und seine Stirn dagegen drückt.

»So eine Kacke«, flucht er leise.

Ich sitze stumm neben ihm, winkel die Beine zum Schneidersitz an und warte. Unsere Gespräche laufen meist immer gleich ab. Niemand fragt oder drängt den anderen zu etwas. Wenn wir reden wollen, kommen wir von ganz allein. Also schweige ich, bis er bereit ist seines zu brechen.

Die Melodie vom Mario Card verleiht der Atmosphäre im Raum etwas seltsam Kurioses. Diese fröhlichen Töne, in Kombination mit der gedrückten Stimmung, bescheren mir eine Gänsehaut, obwohl mir schon längst nicht mehr kalt ist. Am liebsten würde ich das Spiel ausschalten, aber ich bleibe sitzen, um Tom das Gefühl zu geben, dass ich bereit bin ihm zuzuhören.

»Seit unserem Telefonat heute drehen sich meine Gedanken ständig im Kreis«, beginnt er schließlich zu reden und die Musik rückt in den Hintergrund. »Ich konnte an nichts anderes mehr denken, als das Isa Bescheid weiß. Das sie irgendwie davon erfahren hat und …« Er streckt die Beine aus und lässt sich nach hinten gegen die Lehne sacken. »Weißt du, was seltsam ist?«

Ich schüttel den Kopf, denn ich traue meiner eigenen Stimme nicht. Ich habe Tom ein Versprechen gegeben. Ein Versprechen zu schweigen, doch in letzter Zeit wüten Gefühle in mir, die es immer schwerer machen, still zu bleiben.

»Ich war irgendwie erleichtert. Wegen alldem stehe ich ständig unter Spannung. Da ist immer diese Vorsicht, die einen jedes Wort zweimal überdenken lässt. Es ist … es ist einfach zum Kotzen.«

»Ich weiß«, bestätige ich leise und meine es genau so, denn es ist wahr. Niemand versteht all das besser, als ich.

»Als sie heute nicht auf die SMS geantwortet hat, da dachte ich: Okay, das wars. Sie weiß es und jetzt hasst sie mich.« Ein verächtliches Lachen kommt über seine Lippen. »Und ich war erleichtert. Ist das zu fassen?«

»Tom, es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«

Er drückt die Hände auf sein Gesicht und stöhnt verzweifelt auf. »Ich bin doch total krank. Das alles ist total krank und abartig«, faselt er dumpf durch seine Finger, ohne mir überhaupt zugehört zu haben.

»Du bist weder krank noch abartig und das weißt du.« Ich ziehe ihm die Hände vom Gesicht, damit ich ihm in die Augen sehen kann. »Hast du gehört? Du bist nicht krank, klar?«, gebe ich ihm mit Nachdruck zu verstehen, doch er presst nur die Lippen aufeinander und weicht meinem Blick aus.

Das blaue Licht des Fernsehers lässt ihn blass aussehen, wie eine Geistererscheinung, dabei hat ihm die Sonne dieses Jahr eine gesunde Hautfarbe verpasst. Aber wenn es ihm schlecht geht, so wie heute, kann selbst das nicht mehr über seinen Zustand hinwegtäuschen. Tom ist kaputt. Genauso kaputt, wie ich. Vor Jahren ist etwas in ihm zersplittert und niemand war bei ihm, um es zu kitten.

In diesem Moment hasse ich seine Eltern dafür, dass sie solange gewartet haben. Ich hasse sie dafür, dass sie nie richtig hingesehen und es nicht bemerkt haben. Aber jetzt gerade hasse ich mich am meisten, dass mich die Gedanken um Isa so beschäftigt haben, dass ich keine einzige Sekunde an Tom gedacht habe.

»Isa hat mir gestern gesagt, ich soll nicht mehr herkommen.«

Sein abweisender Gesichtsausdruck wandelt sich binnen Sekunden in ein großes Fragezeichen. »Was? Alter, warum das denn?«

Diesen Wesenszug bewundere ich an Tom. Egal wie schwer es auch für ihn ist, er lässt nur in seltenen Momenten einen Blick in sein Innerstes zu. Danach legt er einen mir unbekannten Schalter um, und ist wieder der fluchende, seine Schwester ärgernde, Typ, der seine Abende am liebsten mit Zocken und Basketball verbringt. Er hat seine Tarnung im Laufe der Zeit perfektioniert. Mir gelingt das nicht. Allerdings weiß ich immer noch nicht, ob das nun gut oder schlecht ist.

»Ich habe keine Ahnung. Das ist der Grund, warum ich wollte, dass sie mit dir redet oder besser gesagt, hatte ich darauf gehofft, dass sie es tut. Es muss schließlich eine Ursache geben.«

Über den genauen Ablauf des Abends schweige ich lieber. Ich schäme mich immer noch dafür, Isa erst angeblafft und anschließend einfach stehen gelassen zu haben, anstatt sie selbst zu fragen, was hinter ihrem Wunsch steckt.

Tom zieht sein Handy aus der Tasche. »Es ist schon halb neun. Um Acht macht die Bibliothek zu. Isa müsste also bald nach Hause kommen, dann können wir sie fragen.«

»Sie ist in der Bibliothek? Ich dachte, sie sei bei Caro?«

»War sie auch. Aber sie wollte noch etwas für die Schule machen und ist in die Bibliothek gefahren. Allerdings hat sie ihr Handy bei Caro vergessen.«

Nun muss ich lachen. Typisch, Isa. Wir sitzen hier und wurden bald irre und sie hockt zwischen Büchern und bekommt von alldem nichts mit.

»Das gibt´s doch nicht.« Ich schüttel den Kopf und lasse mich ebenfalls gegen die Lehne der Couch sacken.

Eine Weile sitzen wir einfach schweigend nebeneinander. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Die Musik von Mario Card leiert in Endlosschleife im Hintergrund, allerdings empfinde ich sie jetzt als nicht mehr allzu nervig.

Ich starre an die Decke. Ich weiß nicht, vor was es mir mehr graut. Das Isa jeden Moment hier auftaucht oder das ich irgendwann nach Hause gehen muss.

»Egal, was Isa nachher sagt, du kommst trotzdem weiter her, klar?«
Im Gegensatz zu der rauen Ansage klingt Toms Stimme beinahe sanft. Er dreht den Kopf in meine Richtung und unsere Blicke begegnen sich. »Ich hab echt kein Bock drauf, dass du deswegen Probleme bekommst.«

»Danke«, flüstere ich.

Er setzt sich auf und angelt nachdem Controller auf dem Stubentisch.
»Los, du bist dran«, sagt er und startet das Spiel für die nächste Runde.

Lächelnd greife ich nach dem Zweiten. Letztendlich hatte ich mir völlig umsonst Sorgen gemacht. Ich hätte einfach darauf vertrauen müssen, dass Tom Isas Wunsch niemals zulassen würde. Und abgesehen davon, dass wir noch nicht wussten, wieso sie ihn geäußert hat, kann ich ihr keinen Vorwurf machen. Außer Tom habe ich nie jemanden erzählt, was an jenem Abend, als meine Mutter starb, wirklich passiert ist.

Zeilentrenner neu

Sooo, ihr Lieben! Das waren sie … die ersten 10 Kapitel von Erik & Isa sind raus. Wow, 10 Wochen sind damit offiziell rum und ich muss sagen, ich freue mich unheimlich, dass immer noch so viele von euch dabei sind. Vielen Dank, dass ihr diese Reise begleitet und Danke, dass ihr Erik & Isa in euer Herz geschlossen habt. Dieses Projekt bereitet mir echt Freude und jedes veröffentlichte Kapitel verursacht bei mir neues Bauchkribbeln.

P. S.: Solltet ihr Fragen zur Geschichte, den Charakteren oder einfach zum Blogroman generell haben, dann schreibt mir gern eine E-Mail oder nutzt die Kommentarfunktion. Ich freue mich über jegliches Feedback.

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8 Gedanken zu “10 – Erik & Isa | Blogroman

  1. Tom trägt also auch ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit mit sich herum … Du überraschst mich wirklich immer wieder! Jedes Mal, wenn es so aussieht, als würde die Geschichte ohne große Ereignisse vor sich hin plätschern, wirfst du etwas rein, das sofort die Spannung hochschießen lässt ^^

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  2. Ich glaube, ich muss alles nochmal lesen. Von Woche zu Woche habe ich teilweise das Gefühl, ich hätte etwas vergessen. Entweder das oder du streust hier gerade Stück für Stück neue Infos … xD
    Jetzt noch ganz schnell das neue Kapitel lesen, dann bin ich wieder glücklich und auf Stand.

    Liebste Grüße,
    Wiebi

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